Präsentismus ist sicherlich die nett gemeinte Form von „Der Arsch kommt arbeiten und steckt uns alle an“. Keiner kann so wichtig sein, dass er Blessuren und Wehwehchen nicht zuhause auskurieren kann. Sogar Apple kommt ohne Steve Jobs klar. Liebe krank zur Arbeit Geher: Seid ihr wirklich wichtiger als Steve? Wohl kaum! Doch was ist die Alternative? Richtig, die vom Arzt ausgestellte Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung oder im allgemeinen der „Krankenschein“ und öfters auch mal „gelber Urlaub“ genannte Attest seiner eigenen Vergänglichkeit. Ich selber gehe gerne mit einem Schnupfen ins Büro. Alles was mich nicht davon abhält Sport zu machen, hält mich auch nicht davon ab, arbeiten zu gehen und umgekehrt natürlich.
Trotz gesunder Ernährung und viel Gesundheitsbewußtsein erwischt einen manchmal das eine oder andere Killervirus. Es überwindet die körpereigenen von Sport und Gemüse gestählten Firewalls. Entweder wurde man durch den lieben Kollegen angesteckt oder irgendeinem „in die Hand Nieser“ und dann „nicht Hände waschen Geher“ hat irgendetwas vor dir angefasst und dich so an seinen Körpersekreten, nebst Viren und Bakterienstämmen, teilhaben lassen. Überall lauern die Gefahren, sich mit einer schrecklichen Krankheit zu infizieren: Türklinken, Einkaufswagen, Büro-Telefone usw., sind Orte, die mehr Qualen als der Hardes auslösen können. Mittlerweile wissen wir, dass in vielen Küchen mehr Keime zu finden sind, als auf öffentlichen Toiletten. Wir wissen, dass Tastaturen, Telefone und Mäuse wahre Brutstätten neuer, multiresistenter Erreger sind. Wir alle kennen die einfachsten Hygieneregeln, doch die wenigsten halten sich an die Vorschläge der Halbgötter in weiß.
Hygiene? Mach ich! Ich dusche jeden Tag!
In die Ellenbogen-Beuge niesen? Nach dem Nase putzen die Hände waschen? Nicht ins Gesicht fassen? Alles Dinge, die in unserer heutigen Gesellschaft noch ausgiebig ignoriert werden. Warum? Kein Mensch niest oder hustet in die Ellenbogen-Beuge. Schließlich heißt es doch „Hand vorm Mund“. Mit der so verseuchten Hand verteilt man die eigenen Viren über Händeschütteln oder mal eben was mit der Maus zeigen und über profanes Stift anreichen im ganzen Büro. Beim Einkauf, im Geschäft oder im Restaurant – ständig ist man der Überträger der neusten Epidemie oder Empfänger der neusten Grippewelle-Viren.
Auch im Krankheitsfall gilt: Fünf Minuten vor der Zeit, ist des Deutschen Pünktlichkeit!
Irgendwann kommt dann der Moment, wo das Kratzen im Hals beunruhigend wird, die Temperatur steigt, das Wohlbefinden ist auf dem Niveau eines Fußabtreters angekommen. Das ist der Moment, in dem sich der verantwortungsvolle Kollege entschließt, einen Arzt aufzusuchen und seine Arbeitsunfähigkeit attestieren zu lassen. Löblich, löblich! Alles für die Firma! Wie wir Deutschen so sind, stehen wir dann natürlich zeitig auf, um pünktlich um 7.45 Uhr (noch vor dem Arzt) an dessen Praxis einzutreffen. Doch halt! Beim letzen Routinecheckup stand irgendetwas von vorher anrufen auf einem Infoblatt um die Wartezeit zu verkürzen! Der zweite Gewissenskonflikt des Tages.
Leere Wartezimmer gibt es wohl nur beim Tierarzt!
Zur Arbeit oder zum Arzt? (K)eine Gewissensfrage!
Der Erste: Gehe ich zur Arbeit oder doch zum Doc? Rufe ich an? Die netten Sprechstundenhilfen sind sicherlich schon vorher da! Also ruft der zur Gewissenhaftigkeit neigende gute Deutsche ab 7.30 im Sekundentakt beim Arzt seines Vertrauens an. Immer antwortet das Band: “Sie rufen außerhalb unserer Öffnungszeiten an, versuchen Sie es später nochmal!“. Um 8.00 Uhr: Halleluja, ein Freizeichen und eine verschnupfte Bandstimme teilt mit: „Leider ist unsere Praxis wegen Krankheit geschlossen, bitte wenden Sie sich an folgende Vertretungen…“. Verdammt! OK, es geht ja nur um eine Bestätigung, dass der Infekt einen arbeitsunfähig hat werden lassen. Das kann auch die Vertretung. Flugs anrufen und nach einem Termin fragen. Es hat kaum geschellt und schon hat man eine nette Sprechstundenhilfe (darf man die überhaupt noch so nennen?) am Apparat. „Kommen Sie einfach vorbei“, zierpt sie mit ihrer lieblichen Stimme ins Telefon.
Das Grauen hat einen Namen: Wartezimmer
Mit der Aussicht auf Heilung fällt die beschwerliche Fahrt zum Arzt viel leichter. Schon im Praxisumfeld keimt ein Verdacht in dir auf: So viele Autos! Bestimmt fahren die alle später zur Arbeit. Nachdem das Gefährt dann ordnungsgemäß geparkt wurde und der stramme Fußmarsch zur Praxis absolviert ist, öffnest du die Tür, in Erwartung,den Telefonengel persönlich kennen zu lernen. Doch dein gequältes Lächeln gefriert schon während des Entstehens. Eine Mauer von elendig nach vorne geneigten Schultern in dicken Jacken versperrt die Sicht auf den Telefonengel. Die keuchenden und schnäuzenden zombifizierten ebenfalls vom Todesvirus Infizierten tummeln sich in loser Reihenfolge vor der knapp 1 Quadratmeter großen Anmeldung und versuchen schon ihre gesamte Krankengeschichte der nun nicht mehr ganz so engelhaften Sprechstundenhilfe mitzuteilen.
Die Angst nimmt zu – Todeszone Anmeldung
Die Gedanken beginnen zu kreisen: Habe ich den Türgriff angefasst? Wurde ich gerade angeatmet? Schlimmer noch, wurde ich gerade angehustet? Oh, mein Gott! Was hat der Typ da auf den Händen? Das ist bestimmt ansteckend. Die Erkenntnis landet im Gehirn, wie das Space Shuttle in Kennedy Spacecenter. Mit einem Knall! Hier holst du dir den Tod. Wenn bis jetzt nur ein wenig Halsschmerz oder Husten dein Wohlbefinden störte: Nun ist der Tod besiegelt. Hat der promovierte Mediziner die von Google erstellte Diagnose bestätigt und dich für einige Tage aus dem Arbeitsverkehr gezogen, ist das Kratzen im Hals bereits zu einem lebensbedrohlichen Stechen geworden. Die makrohaft vergrößerte Petrischale in Form das Wartezimmers hat dafür gesorgt, eine unüberschaubare Menge an Keimen und Erregern in deinen bereits angeschlagenen Organismus zu injizieren.
Wartezimmer wie Hühnerställe – Auge in Auge mit dem Tod
Längst ist aus der Massentierhaltung bekannt, dass viele Tiere auf wenig Raum dazu führen, dass sich Infekte blitzschnell und unkontrolliert ausbreiten. Selbst wenn nur ein Tier erkrankt, wird die ganze Herde präventiv mit Antibiotika behandelt. Ohne Ausnahme. Gesund oder krank spielt keine Rolle. Anstatt aus der Tierhaltung zu lernen, sitzt man wider besseren Wissens in 3×3 qm großen, überheizten und schlecht belüfteten Wartezimmern und holt sich die Krankheiten, die man nie haben wollte. Schulter an Schulter, Bein an Bein ist man gefangen und hat keine Chance auch nur halbwegs gesund diese Brutstätte allen Übels zu verlassen.
Fazit: Eine Attestierung der Arbeitsunfähigkeit sollte auch via Videochat möglich sein. Medikamente werden bei den meisten grippalen Infekten nicht verschrieben. Also entfällt die Notwendigkeit eines Rezeptes ebenfalls. Alternativ bestünde die Möglichkeit, den Arbeitnehmer selber entscheiden zu lassen, ob er arbeitsfähig ist oder nicht ist. Schließlich weiß man selbst am besten, wann es noch geht und wann nicht. Eine weitere Option wäre die Wartezimmer nach neusten Hygiene-Erkenntnissen zu gestalten. Mit einem Individualabstand der nicht einem One-Night-Stand gereichen würde, wären sicherlich 50 % der Neuinfekte zu verhindern. Ich bin jedenfalls sicher, dass die nächste weltweite Pandemie nicht aus einem Militärlabor entspringt. Ganz profan im Wartezimmer deines Hausarztes wird es anfangen und die Menschheit dezimieren. Ich vermute mit jedem Arztbesuch manifestiert sich bei mir eine Angstpsychose von immer stärkerem Ausmaß mit der Folge, dass ich künftig lieber Google zur Diagnose bemühe.
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